Der russische Angriffskrieg in der Ukraine wütet im dritten Jahr. Unbarmherzig geht der Aggressor vor, ohne Rücksicht auf zivile Opfer. Dann im Herbst letzten Jahres der barbarische Terroranschlag der Hamas, er traf junge, feiernde Menschen in Israel. Unzählige sind tot, viele traumatisiert nach der langen Leidenszeit in der Hand der Terroristen. Und wieder ein Krieg. Unvorstellbar das Leid der Familien, die Angehörige verloren haben oder sie noch immer vermissen, auf allen Seiten. Wie lassen sich solch extreme Krisensituationen ertragen? Wie kann man weiterleben, im Angesicht des Schreckens?
Trost ist im Zusammenhalt mit Familie, Freundinnen und Freunden zu finden, und auch in der Religion, die dem Leben einen höheren Sinn verleihen kann, weil man sich als Teil eines Ganzen verstehen kann und dadurch dem Grauen nicht allein ausgeliefert ist. Das Jahresthema der action 365 widmet sich dieser Suche nach Vertrauen: „Ich fürchte kein Unheil, denn du bist bei mir“ (Psalm 23,4). Das aktuelle Poster (Gestaltung: Cornelia Steinfeld) greift das Thema des Jahres 2024 auf und stellt Zitate aus den Tagebüchern, welche die holländische Jüdin Etty Hillesum zwischen 1942 und 1943 führte, daneben: „Das Stück Geschichte, das wir jetzt erleben, kann ich sehr gut ertragen, ohne darunter zusammenzubrechen“. Ein erstaunlicher Satz einer starken jungen Frau, die die deutsche Besatzung in ihrem Land und den einhergehenden Terror mutig erträgt. Sie konzentriert sich auf ihr Inneres, dort will sie Gott finden, Trost, ja, sich selbst. Doch es ist ein inneres Ringen, verbildlicht in den zwei Halbkreisen, die an eine waagerechte Achse angelegt sind und Farbstufen zwischen Rot und Weiß annehmen. Sind es Augen, die in den Abgrund oder in die Zukunft mit Gott blicken? Oder eine aufgehende und eine untergehende Sonne?
In den Zeilen von Etty Hillesum gibt es Zuversicht, aber auch Momente der Verzweiflung, Momente, in denen sie ihre Autonomie zu verlieren scheint. „Manchmal freilich ist es, als legte sich eine Ascheschicht über mein Herz. Und dann kommt es mir vor, als würde mein Gesicht vor meinen Augen welken und vergehen, … mein Herz lässt alle Hoffnung fahren“. Etty Hillesum hat von den Vernichtungslagern gehört, in denen ihr Volk ausgerottet werden soll. Sie findet fast poetische Worte für das Schicksal, das auch ihr und ihrer Familie droht. Zwei Jahre führt sie akribisch Tagebuch und hinterlegt es bei einer Freundin, damit es veröffentlicht werden und ihre Sicht der Vorgänge unter der nationalsozialistischen Besatzung für immer und ewig wiedergeben kann. Sie will ihre Aufgabe auf Erden so gut wie möglich erfüllen. Im Vertrauen auf einen höheren Plan, ein höheres Wesen, eine höhere Gemeinschaft, die Sinn ergibt.
Etty Hillesum wird am 30.11.1943 in Auschwitz ermordet. Sie wird nur 29 Jahre alt. Unvorstellbar, dass die Gesamtausgabe ihrer Tagebücher erst 2023 in deutscher Übersetzung erschienen ist.
Es ist schmerzlich zu sehen, wie sich der Hass auf alles Jüdische in Deutschland, im Land der Täter, gegenwärtig wieder Bahn bricht. Jeder und jede sollte sich der Verantwortung bewusst sein und einen Beitrag leisten: gegen das Vergessen – die Mahnung und Erinnerung. Gegen den pöbelnden Hass gegenüber Menschen jüdischen Glaubens in unserem Land und weltweit – couragierten Beistand leisten. Im Vertrauen auf ein Du, das mir in schwierigen Situationen zur Seite steht: „Denn du bist bei mir.“
Du, das kann Gott sein, über jede Religion hinaus. Du, das sind Familie und Freundinnen und Freunde, aber es kann auch ein Mensch sein, der hervortritt und spontan seine Hand reicht, wenn man es am wenigsten erwartet. Wichtig ist, in schweren Zeiten das Vertrauen auf das Gute in der Welt nicht zu verlieren und es mit Optimismus und einem Lächeln auf den Lippen wenigstens im Kleinen hervor zu zaubern.
Text: Ulrike Maria Haak