Die jahrtausendealte Geschichte der Emmausjünger hat bis heute nicht an Aktualität verloren: Auf dem farbenprächtigen Gemälde des französischen Malers Georges Rouault (1871 – 1958) sind zwei Anhänger des gekreuzigten Jesus auf dem Heimweg, betrübt über seinen Tod, aufgewühlt von der Entdeckung des leeren Grabes.
Zwei Menschen, vielleicht Mann und Frau, auf dem Weg in ihr Heimatdorf – hinter ihnen liegen aufregende Tage, vor ihnen eine ungewisse Zukunft. Angeregt lassen sie all die unvorstellbaren Ereignisse noch einmal Revue passieren, da gesellt sich ein Unbekannter zu ihnen. Ein Gespräch beginnt, man versteht sich, hat ähnliche, wenn nicht sogar gleiche Vorstellungen. So beginnen Freundschaften, eine alltägliche Situation, die jedem, der sich ab und zu auf Reisen begibt, so oder ähnlich vielleicht schon einmal passiert ist. Es ist auch eine Geschichte über die verbindende Kraft gemeinsamer Wertvorstellungen, über die verbindende Kraft von Kultur, in der Gastfreundschaft eine große Rolle spielt. Denn als sie angekommen sind im Dorf und der unbekannte Dritte weitergehen will, bedrängen sie ihn: „Bleibe bei uns! Es ist bald Abend, bald wird es dunkel sein!“
Er bleibt. Die Bitte der Jünger ist bei näherem Hinsehen doppeldeutig: Bitten sie ihn bei ihnen zu bleiben, aus Angst vor der nahenden Dunkelheit? Oder haben sie im Gegenteil sogar Angst um ihn, der allein im Dunkeln seinen Weg fortsetzen will? Handeln sie aus Sorge um den anderen, noch Fremden? Es ist also eine wechselseitige Beziehung, geprägt von Vertrauen und Freundschaft. Die Jünger sind frei, ihn gehen zu lassen, tun dies aber nicht, aus Sorge um die eigene Sicherheit oder die des Fremden, den sie gerade kennengelernt haben. Sie sind frei, die Chance des Glaubens zu ergreifen oder es aus freien Stücken nicht zu tun. Da sie Gemeinschaft mit ihm suchen, bleibt er und gibt sich beim gemeinsamen Mahl zu erkennen, indem er das Brot bricht. Genau in dem Moment, da sie ihn erkennen, verschwindet er. Es bleibt: das Geheimnis des Glaubens. Denn genauso wie damals brauchen wir auch heute keine Beweise für die Auferstehung Jesu, aufgehoben in der Gewissheit, dass er an unserer Seite ist, vertraut und fürsorglich.
„Denn wo zwei oder drei in meinem Namen versammelt sind, da bin ich mitten unter ihnen (Matthäus-Evangelium 18,20)“ – im Erlebnis von Emmaus wird diese Aussage Jesu begreifbar. Und was tun die Jünger von Emmaus nach diesem Ereignis? Sie trotzen der Angst vor dem Dunkel und eilen noch am selben Abend zurück nach Jerusalem, um den verbliebenen elf Jüngern Jesu zu verkünden, was sie gerade erlebt haben. Die Freude des Erlebten mit anderen, Gleichgesinnten zu teilen, macht jeden von ihnen stärker, im Bewusstsein, Teil einer großen Gemeinschaft zu sein. Teil einer Gemeinschaft, die im Zusammenwirken Aller Großes bewirken kann, gegen die alltäglichen Zumutungen des Lebens.
(Text: Ulrike Maria Haak)