Ohne Hintergedanken
Was zählt in unseren modernen Gesellschaften ist Leistung – und der Preis, der dafür bezahlt wird. Jedes Unternehmen funktioniert nach diesem Prinzip, jeder Arbeitnehmer mittlerweile ebenso. In dieses vereinfachte reine Kosten-Nutzen-Denken passt Selbstlosigkeit nicht hinein.
Wann hat jeder einzelne von uns zuletzt etwas für andere getan, ohne einen Hintergedanken dabei zu haben? Nach dem Motto: „Wie du mir, so ich dir“, wenn ich dir etwas Gutes tue, erwarte ich demnächst das Gleiche von dir? In modernen Gesellschaften ist Selbstlosigkeit, Freigiebigkeit ein hohes Gut geworden. Wir müssen uns nicht mehr auf Gedeih und Verderben anderen anvertrauen, es gibt genügend soziale Netzwerke dafür. Das egoistische Denken nimmt in dem Maße zu, in dem sich eine Gesellschaft emanzipiert. Das zeigen Studien. Wie traurig.
Dabei absolviert die Natur jedes Jahr aufs Neue ein Schauspiel, das mit egoistischen und finanziellen Mitteln nicht aufzurechnen ist: jeden Frühling schieben die jungen Triebe die abgestorbenen alten zur Seite und streben dem sich aufwärmenden Sonnenlicht entgegen. Ein Schauspiel, das an Schönheit und Verlässlichkeit nicht zu überbieten ist. Niemand bezahlt jemanden dafür, dass der Wechsel der Jahreszeiten zuverlässig über die Bühne geht. Genau diese selbstverständlich hingenommene, aber umso erstaunlichere Tatsache thematisiert das aktuelle Poster der action 365 (Gestaltung: Gottfried Pott): „Einmal wird uns gewiss die Rechnung präsentiert, für den Sonnenschein und das Rauschen der Blätter...“ – Doch wir haben die Rechnung ohne den Wirt gemacht. „Ich habe euch eingeladen, sagt der und lacht, soweit die Erde reicht, es war mir ein Vergnügen“. Nach all dieser Schönheit angesprochen auf den Preis für den lebenslangen kostenlosen Genuss des Naturschauspiels die Nachricht: ich habe es gerne getan (Text: Lothar Zanetti). Selbstlosigkeit in höchster Vollendung – das verkörpert die bloße Existenz dieses blauen Planeten mit all seinen Wundern. Leistungen dieser Art sind mit keinem Geld der Welt zu bezahlen. Sie sind schlichtweg unbezahlbar. Wie beruhigend. Jeder Mensch, ob reich oder arm, hat vor diesem Hintergrund immerhin die Möglichkeit, aus seiner Existenz mit seinen Möglichkeiten das Beste daraus zu machen. Es lohnt sich also, dass wir uns hin und wieder an diese Gnade erinnern, die das menschliche Leben so reich macht. Und es als Vorbild nehmen für das eigene Leben: Wer Freude gibt, das ist eine alte Weisheit, wird umso mehr Freude ernten.