„Wie du mir, so ich dir“, „Gleiches mit Gleichem vergelten“ – interessanterweise gibt es in unserem Kulturkreis unzählige Redewendungen, die um eine Grundangst des Menschen kreisen: um die Angst, benachteiligt zu werden. Die Angst, etwas zu geben, ohne etwas dafür zurückzubekommen.
Dabei ist nichts befreiender, als ohne Hintergedanken etwas zu verschenken. Nicht etwas, was man ohnehin nicht mehr braucht, was man abgenutzt hat, sondern etwas, was einem trotz aller Jahre noch „ans Herz gewachsen ist“. Im Prozess des selbstlosen Schenkens offenbart sich vielleicht am deutlichsten, was mit „Vertrauen schenken“ gemeint ist: Man gibt etwas einem anderen, mit dem Willen, es gut mit seinem Gegenüber zu meinen.
In unserer gegenwärtigen gewinnorientierten Gesellschaft hat das Wort „Vertrauen“ seit Jahren schon einen festen Platz in Managerberaterseminaren und Personalkonferenzen. Es scheint ein altmodischer Begriff zu sein, der nicht in die konkurrenzbetonte Gesellschaft von heute passt. Schließlich gibt jemand, der anderen vertraut, von sich aus einiges preis: indem er anderen vertraut, zeigt er bewusst Schwäche. Sei es nur, um im gemeinsamen Streben nach Zielen erfolgreicher zu sein, wie es die Betriebswirtschaftslehre lehrt, oder sei es, um im persönlichen Miteinander etwas mehr Wärme in diese Welt zu bringen.
„Vertrauen schenken“ – der Titel des aktuellen Posters der action 365 zielt auf das Herz unserer Gesellschaft. Vor dem Hintergrund eines Efeugeflechts heben sich die individuell gestalteten Buchstaben in weiß und bunt hervor (Foto und Gestaltung: Gottfried Pott). Efeu gilt seit der Antike als Symbol der Treue, des ewigen Lebens und der Freundschaft. Freundschaft ohne Vertrauen ist undenkbar. Freundschaft lebt von selbstlosem Denken. Davon, es mit dem anderen „gut zu meinen“, in „Vorleistung“ zu gehen. Etwas einfach selbstlos wegzuschenken, wird in Zeiten wie diesen immer unpopulärer. Schenken ohne Hintergedanken, ohne zumindest die Hoffnung auf Gegenleistung? Jener, welcher vertraut, geht in Vorleistung, er kann mehr verlieren als gewinnen. Derjenige, der Vertrauen schenken kann, hat die positive Erwartung, dass der andere die Situation schon nicht zu seinen Gunsten ausnutzen wird. Vertrauen zu haben, sich Vertrauen gegen alle widrigen Erfahrungen im Leben bewahren zu können, ist eine echte Gabe. Und das ungemein Fantastische daran: es tut einfach gut! Wie es schon Johann Wolfgang von Goethe in Worte gefasst hat: „Sobald du vertraust, weißt du zu leben.“
Unsere Kinder zeigen uns tagtäglich, wie eine solidarische Gemeinschaft funktioniert: ohne nachzudenken, schenken sie ihren Bezugspersonen jeden Tag aufs Neue ihr bedingungsloses Vertrauen. Selbst negative Erlebnisse können sie so schnell nicht von ihrer Grundüberzeugung abbringen: dass „ihre“ Menschen es gut mit ihnen meinen.
Genauso sind Christen geborgen in der bedingungslosen Gewissheit, dass „jemand es gut mit ihnen meint“. Jemand, der über allen kleinteiligen und allzu irdischen Konflikten steht, und das in alle Ewigkeit. Die Gewissheit, auf Gott vertrauen zu können, kann nichts auf der Welt uns nehmen.
(Text: Ulrike Maria Haak)