Im Sommer kommt die Zeit, da die Mehrzahl der Menschen sich eine Auszeit vom Alltag nimmt. Es ist eine lebensnotwendige Zeit der Erholung, die heutzutage immer weniger als solche gewürdigt wird. Denn immer mehr Menschen können nicht mehr trennen zwischen Phasen des Nichtstuns und Phasen des Leistungsdrucks. Und so jagen sie auch im Urlaub den Rekorden hinterher: die schnellsten Boote fahren, die weitesten Strecken wandern und die höchsten Berge erklimmen.
Doch mehr und mehr macht sich die Erkenntnis breit: diese Grenzerfahrungen haben nichts gemein mit der Erfahrung eines langen, vielleicht sogar langsamen Aufstiegs auf einen Berggipfel. Die Gipfelerfahrung bezeichnet einen Moment absoluten Glücksgefühls, losgelöst von Zeit und Raum. Das aktuelle Poster der action 365 veranschaulicht den Begriff Gipfelerfahrung, indem es ihn wörtlich nimmt: das Gipfelkreuz auf einer hohen Bergspitze, der Blick geht ins Weite, ins Unendliche, dem Himmel ganz nah (Foto und grafische Gestaltung: Gottfried Pott).
„Dem Alltag der Ebene entfliehen, sich auf den Weg machen, Höhe gewinnen, um weiter sehen zu können“, so der Begleittext von Rudolf Wichard. Abstand gewinnen, in welcher Form, das entscheidet jeder für sich. Der eine hat seine persönliche Gipfelerfahrung in der inneren Einkehr, in der Meditation, der andere durch die körperliche Kraftanstrengung einer Bergwanderung. In beiden Fällen gewinnt man an Höhe, übersieht sein gegenwärtiges Leben besser, kann die richtigen Schlüsse ziehen. Und gewinnt die Erkenntnis, dass zum Leben die Mühen des Aufstiegs genauso dazu gehören wie das Glück des Ankommens. Ein Wechselspiel, bei dem oftmals die Mühe überwiegt. Doch wir sind ja nicht Sisyphos, von dem Homer in seiner Odyssee schrieb, wie er zur Strafe der Götter einen Fels immer und immer wieder einen Berg hinauf rollen musste.
Und schließlich: „Der Blick vom Gipfel, darüber der Himmel, nah und klar“, so der Text. Am Ziel angekommen, ist die Freude über die eigene Leistung größer als die Anerkennung der anderen. Die Erfahrung, aus eigener Kraft etwas geschafft zu haben, auch wenn nicht immer die Sonne schien, der Blick oft verstellt, die Aussicht oft getrübt war: diese Erfahrung ist ein Geschenk. (Text: Ulrike Maria Haak)