Kann es so etwas wie Gerechtigkeit für alle geben? Bedeutet nicht die Gerechtigkeit für die einen automatisch Ungerechtigkeit und Benachteiligung für die anderen? Eine zutiefst philosophische Frage, die sich in den Zeiten der Pandemie vielfach gestellt hat: Welche Bevölkerungsgruppen erhalten die Impfung zuerst und warum? Wer kommt dann an die Reihe? Und wer versucht sich auf Kosten anderer vorzudrängeln? Sobald der Blick über die Grenzen Europas und der westlichen Welt hinausgeht, wird deutlich: diese Fragen scheinen lächerlich im Vergleich zu den mit Impfstoff unterversorgten Ländern und Kontinenten wie Afrika oder Indien.
„Das Leben ist ungerecht, aber denke daran: nicht immer zu deinen Ungunsten.“ Das Zitat von John F. Kennedy hat sich das aktuelle Poster der action 365 als Titel gewählt. Neben einer vom Weltraum aus gesehenen blauen Erdkugel erinnert es daran, dass unser Blick immer auch ein globaler sein sollte. Nicht nur die Nöte und Sorgen in unserem Land, auf unserem Kontinent sind in den Blick zu nehmen, unsere Aufmerksamkeit sollte weltweit geschärft sein. Denn die Industrieländer weltweit profitieren davon, dass das Leben ungerecht ist, dass ein großer Teil der Weltbevölkerung abgeschnitten ist von lebenswichtigen Grundbedürfnissen wie ausreichend Nahrung, sauberes Wasser, ein Leben in Frieden und Sicherheit.
„Ungerechtigkeit an irgendeinem Ort bedroht die Gerechtigkeit an jedem anderen“ – der amerikanische Bürgerrechtler Martin Luther King brachte das empfindliche Gleichgewicht auf den Punkt. Sei es in der eigenen Lebenswirklichkeit oder global gesehen, das Bewusstsein, welche Konsequenzen das eigene Handeln im Bezug auf andere hat, sollte immer wach sein. Und eine Sehnsucht sollten wir uns erhalten: die dem Christentum immanente Sehnsucht, nicht auf Kosten anderer zu leben und die „Kultur von Geld und Genuss, von Gewalt und Karriere“ zu durchbrechen, wie es die Theologin Dorothee Sölle ausführte. „Auch in uns steckt ‚das von Gott‘, diese Kraft, das Leben zu heiligen und es nicht dem Profit unterzuordnen“, so Sölle. Diese Kraft anzunehmen und nach außen zu tragen, ist ein Grundgedanke des christlichen Glaubens.
Denn nur so lässt sich die Welt zu einem gerechteren Ort für alle machen. Und das Schöne daran: Jeder und jede einzelne kann daran mitwirken, die Zukunft jetzt und für alle nachfolgenden Generationen zu einer besseren zu machen. Ein weiteres Zitat von John F. Kennedy soll diesen Blick in die Zukunft unterstreichen: „Wir alle leben auf diesem Planeten. Wir alle atmen dieselbe Luft. Wir alle halten die Zukunft unserer Kinder in Ehren. Und wir alle sind sterblich.“ Das Leben hat irgendwann ein Ende – das gilt für ausnahmslos alle. Die große Frage nach Gerechtigkeit – hier endet sie.
Text: Ulrike Maria Haak