Nicht wegsehen, handeln! Nicht fragen, helfen!
Nächstenliebe – eine christliche Tugend, die im Alltag oft genug schöner Schein bleibt. Die Geschichte vom Heiligen Sankt Martin, der seinen Mantel mit dem Bettler teilt, mehr aber noch das Gleichnis vom barmherzigen Samariter gehen uns zu Herzen, scheinen aber auf den ersten Blick nicht so recht in unser Hier und Heute zu passen. Dabei ist es ja noch nicht einmal notwendig, dass wir jene, denen wir helfen, auch lieben müssen. „Nächstenhilfe“ ist aus diesem Grund das aktuelle Poster überschrieben. Und Hilfe sollte immer an erster Stelle stehen, wenn es um Menschen in Not geht.
In den letzten Monaten haben sich die Meldungen gehäuft: bei Verkehrsunfällen auf Autobahnen wollen viele einen Blick auf das Unglück erhaschen, am besten noch einen Film mit dem Smartphone drehen und an Freunde verteilen. Die lebensnotwendige Gasse für die Rettungsfahrzeuge wird, wenn überhaupt, nur höchst wiederwillig freigemacht. Sanitäter mussten schon kilometerweit im Sprint zur Unfallstelle laufen, weil sie mit ihren Fahrzeugen nicht durchkamen. Schon wird der Ruf nach härteren Strafen für solch rücksichtslose Verkehrssünder laut. Aber wie konnte es soweit kommen? Woher diese unglaubliche Ignoranz und Rücksichtslosigkeit? Wie kann es sein, dass Menschen, die nicht einmal gefordert sind, erste Hilfe zu leisten, weil die Ersthelfer ja schon vor Ort sind, noch nicht einmal das Mindeste tun: den Weg frei machen für die, die Leben retten wollen und können? Wie weit ist die Verrohung unserer Gesellschaft schon fortgeschritten, wenn der kalte Blick auf Schwerverletzte im Netz per Video verbreitet wird?
Schon zu Lebzeiten Jesu war genau diese Gleichgültigkeit gegenüber Menschen in Not Thema. Das Gleichnis vom barmherzigen Samariter ist eine Erzählung von erschreckender Aktualität, denkt man an die langsam an einer Unfallstelle vorbeifahrenden Gaffer auf der Autobahn. Jesus antwortet mit dem Gleichnis auf die Frage eines Gesetzeslehrers, der wissen möchte, wer denn jetzt eigentlich sein Nächster sei, den er lieben und achten solle. Jesus stellt eine Gegenfrage: wer wohl dem Menschen in Not der Nächste gewesen sei, die, die sahen und vorübergingen oder der eine, der blieb und handelte? Der Gesetzeslehrer soll also selbst sehen und suchen, wem er ein Nächster sein könne, wem er helfen und beistehen könne. Nicht fragen: wer ist mein Nächster? Sondern ganz einfach einem anderen Menschen in Not beistehen, helfen, nahe sein.
Das Naheliegende erkennen und handeln, es sollte eigentlich selbstverständlich sein. „Was ihr für einen meiner Nächsten getan habt, das habt ihr mir getan.“ Mit dem berühmten Zitat auf dem Matthäus-Evangelium unterstreicht das Poster die uralte Forderung nach einem menschenwürdigen Miteinander, das möglich wird, wenn jeder Einzelne sich gefordert sieht, zu helfen.
Text: Ulrike Maria Haak