Im Mai 1949 wurde das Grundgesetz geschaffen. „Die Würde des Menschen ist unantastbar“, so lautet der erste Satz des ersten Artikels. Die Würde eines Menschen ist nicht zu trennen von seinem Umfeld, seiner Geschichte, seinen Traditionen, Bräuchen, seiner Kultur. Erst die Fähigkeit, Symbole, und damit Kulturelles zu erschaffen und in höheren Sphären zu denken, unterscheidet den Menschen vom Tier.
„Die Würde der Kulturen ist unantastbar“. Der Titel des aktuellen Posters der action 365 nimmt sich den wichtigsten Artikel des Grundgesetzes zum Vorbild und ersetzt kühn das Wort „Mensch“ mit „Kulturen“. Nichts anderes macht indes auch den Menschen aus: ohne seine Kultur, seinen über die Jahrtausende gespeicherten Schatz, ist jeder Mensch ein Verlorener, ein aus allen Zeiten Gefallener. Nimmt man einem Menschen seine Kultur, nimmt man ihm das zu einem würdigen Leben Notwendige. Er lebt nicht, er vegetiert. In China haben die Menschen in den Jahren zwischen 1966 bis 1976 unter einer derartigen Herrschaft des Schreckens leben müssen: die sogenannte Kulturrevolution, von Mao Zedong ausgerufen, sollte Jagd machen auf jede Äußerung von Kultur, auf alle Symbole der Intelligenz, der Philosophie, der Wissenschaften allgemein. Schulen und Universitäten blieben geschlossen, sogar Bücher zu besitzen oder ein Instrument zu spielen waren bei Strafe verboten. Die Folgen einer derartig brutalen „Umerziehung“ sind bis heute spürbar.
Umso wichtiger ist es, in der Begegnung mit Menschen anderer Kulturkreise die geschichtlichen Dimensionen mitzudenken. Die Weberin farbenfroher Teppiche in Guatemala steht in einer stolzen Traditionslinie der Kultur der Maya. Sie muss vertrauen darauf, dass sie von Menschen anderer Kulturkreise als gleichwertig wahrgenommen wird, dass ihr Menschen entgegentreten, „nicht als Eroberer, sondern als Brüder und Schwestern“ Denn nur im genauen Hinschauen offenbaren sich die Wunder im Kleinen. Wie großartig zum Beispiel die Institution eines „Sorgenpüppchens“: dieses gewebte Etwas nimmt all die Bedenken auf sich und trägt zur Beruhigung des Geistes vermutlich weitaus mehr bei, und das noch auf gesünderem Wege, als jede pharmazeutische Beruhigungspille in der westlichen Hemisphäre.
(Text: Ulrike Maria Haak)