Die letzten Monate des Jahres nahen und mit ihnen die Tage, die dunkler werden. Die Felder sind abgeerntet, der Kreislauf der Natur neigt sich dem Ende zu. Eine Zeit, die nachdenklich macht, Wehmut schwingt mit: hat man die vergangenen Tage des Jahres auch zu Genüge genutzt? Oder hat man sie nur verstreichen lassen, weil man in seiner täglichen Routine gefangen war? Hat man die verstrichene Zeit mit Sinn gefüllt? Und was wird die Zukunft bringen?
Das aktuelle Poster der action 365 (Foto und Gestaltung: Gottfried Pott) zeigt einen gewaltigen Baum: es ist eine Libanon-Zeder, eine besonders widerstandsfähige Vertreterin ihrer Gattung, die mehr als tausend Jahre alt werden kann. „endlich leben“, so lautet der Titel, und darin liegt eine Doppeldeutigkeit: zum einen ist es endlich, letzten Endes, gut ausgegangen für die Menschheit, weil Gott seinen Sohn in Gestalt von Jesus Christus auf die Welt kommen ließ.
Zum anderen schwingt bei „endlich“ aber auch die Endlichkeit mit, denn das Ende jedes Lebens auf dieser Welt ist von Geburt an vorgezeichnet. Wir leben vom ersten Moment, in dem wir diese Welt betreten, in der Gewissheit, dass dieses unglaublich große Geschenk eines Tages sein Ende haben wird. So etwas Wunderbares und Großes kann eigentlich nicht ewig dauern, es würde das Fassungsvermögen jedes Menschen überschreiten.
Jeder von uns erlebt irgendwann Krisen, Zeiten, in denen er denkt, nicht weitergehen zu können auf dem Weg des Lebens. Sei es, dass ein nahestehender Mensch stirbt, vielleicht sogar viel zu früh und unerwartet, sei es, dass Krankheiten den Lebenswillen schwächen. Die Natur hat viele Beispiele dafür, wie Krisen überwunden werden können: durch Ruhe, die Konzentration auf das Wesentliche, die Gelassenheit, die sich einstellen kann, wenn man sich in einem größeren Ganzen geborgen fühlt. Die kleine Pflanze, die sich durch den Asphalt bohrt, schwach und zugleich unerschütterlich in ihrem Lebenswillen, ihrem Drang zum Licht hin. Das können für uns Familie, Freunde, der Glaube sein.
In dem Bewusstsein der Endlichkeit liegt aber auch eine Chance: „Endlichkeit ist die Voraussetzung für ein erfülltes Leben“, sagt Dieter Nuhr, seines Zeichens ein Komiker mit eigener TV-Show. Aber schon immer haben die „Spaßmacher“ dieser Welt den tiefen Ernst des Lebens als Erste erkannt – sonst könnten sie die Ebene nicht erreichen, auf der sie fähig sind, über die tiefen Fragen des Lebens zu philosophieren. Und es stimmt: nur weil wir wissen, dass wir nicht unendlich viel Zeit auf dieser Erde haben, strengen wir uns an, diese möglichst sinnvoll zu gestalten. Etwas „erleben“ wollen, darin steckt in der Vorsilbe „er-“ zugleich die Begrenztheit: wie in „erschöpfend“.
Nicht umsonst gibt es diesen Brauch: bei der Familiengründung einen Baum zu pflanzen. Der Baum hat Bestand, über den Tod hinaus kündet er von dem Leben, das derjenige mit seiner Familie führte, der ihn damals pflanzte. Ein schöner Brauch, der über alle Schranken der Weltreligionen und Kulturen Bestand hat.
Text: Ulrike-Maria Haak