Das neue Jahr beginnt, wie das alte aufgehört hat: weltpolitisch aufgeladen, angestrengt und wenig hoffnungsvoll. Die Aussicht, zumindest für die nächste Amtsperiode im Weißen Haus mit einem selbstgefälligen Milliardär als mächtigstem Mann der Welt auskommen zu müssen, macht es schwer, positive Gedanken für einen Jahresbeginn zu entwickeln. Und auch die starken rechtspopulistischen Strömungen, das Ausscheiden Großbritanniens aus der so sicher geglaubten Europäischen Union – alles Faktoren, die die Einheit und den Frieden Europas bis auf Weiteres erschüttern. Unser so sicher geglaubtes Weltbild mit einem Frieden, der länger als siebzig Jahre währt, gerät gerade tüchtig ins Wanken.
Vor all diesen beunruhigenden Entwicklungen tut es gut, sich auf eine asiatische Weisheit zu besinnen: „Wir sind immer am Anfang“. Dieser Sinnspruch steht in kalligraphischer Schönschrift neben einem Bild des Klosters Eberbach im Rheingau: Ein jahrhundertealtes, zuverlässiges Zeichen abendländisch-christlicher Tradition (Gestaltung: Gottfried Pott).
Es ist interessant, dass bis auf wenige Ausnahmen unser Denken vom Anfang eher mit negativen Gedanken verbunden ist: „Aller Anfang ist schwer“, „Er ist noch ein Anfänger“, „Immer wieder von vorne anfangen“, „Nicht das Ziel erreichen“ – nur einige der Sprüche aus unserem Erfahrungsschatz. Erst Hermann Hesse begriff die positiven Aspekte des Anfangens: „Und jedem Anfang wohnt ein Zauber inne, der uns beschützt und der uns hilft, zu leben.“ Denn ja, dadurch, dass immer wieder ein Anfang möglich ist, ist auch immer wieder alles möglich – es gibt Hoffnung, statt Resignation.
„Ich meine, es gebe Gründe zu hoffen. Ich meine, die Zukunft der Welt sei nicht festgeschrieben, jedenfalls nicht im Sinne heute üblicher Katastrophenprophetie.“ Jörg Zink schrieb diese Zeilen, und er hat, noch bevor uns zum Ende des vergangenen Jahres die Schreckensnachrichten von Terror und verfehlter USA-Politik erreichten, aus unser aller Herzen gesprochen. Zink sagt nicht „Ich glaube“, er wählt bewusst ein „Ich meine“. Im Formulieren seiner Meinung ist er Teil unseres demokratischen Wertesystems. So macht er noch klarer, dass christlicher Glaube nichts mit Weltfremdheit und Abkehr von der Realität zu tun hat. Im Gegenteil: Der Glaubende steht mitten in der scheinbar zusammenbrechenden Welt- und Werteordnung für seine Überzeugungen ein. „Ich meine, unsere Zukunft habe ein anderer in der Hand als der Mensch mit seiner Ahnungslosigkeit und seiner gefährlichen Selbstsicherheit.“ Eine Quelle des Trostes. Denn wenn immer und überall ein Anfang möglich ist, sind wir niemals am Ende.
In Asien ist nicht der Mensch der Mittelpunkt der Welt – es ist die Familie, das Zusammenspiel des Menschen und seiner Beziehungen zu seiner Umwelt, zur Natur. Ein bisschen von dieser Demut und die Besinnung auf das aus der Mode gekommenen Wort „Gottvertrauen“ tut unserem hektischen, allzu profitorientiertem Leben gut.
Text: Ulrike Maria Haak