„Ich freu mich, dass am Himmel Wolken ziehn, und dass es regnet, hagelt, friert und schneit…“, so der Beginn des Gedichts „Sozusagen grundlos vergnügt“ von Mascha Kaleko. In diesen schweren Zeiten der weltweiten Pandemie naiv klingende Verse über eine scheinbar heile Welt? Hunderttausende, ja Millionen Tote weltweit und ein Loblied auf die Natur? Wie soll das zusammen gehen?
Seit mehr als einem Jahr wütet die Corona-Pandemie weltweit. Die Zahlen der am Virus Verstorbenen steigen täglich. Zum Jahreswechsel 2020/2021 haben allein in Deutschland so viele Erkrankte ihr Leben gelassen, wie in den Monaten zuvor. Mit den strikten Kontaktbeschränkungen und den damit einhergehenden grundlegenden Veränderungen des täglichen Lebens kommen nicht alle gut zurecht: viele Menschen suchen ihr Heil in Verschwörungstheorien und auf Querdenker-Demonstrationen, wähnen sich vom Staat verfolgt, vergleichen unsere Gesellschaft mit der nationalsozialistischen Schreckensherrschaft. Solche geschichtsverleugnenden Vergleiche und Behauptungen gehen zwar von einer Minderheit aus, doch sie bleiben eine Gefahr für die Demokratie.
Aber auch, wer sich nicht diesen haltlosen Vorwürfen anschließt, hat Sorgen. Denn vieles, was wir uns in unserer so geordneten, vermeintlich gerechten westlichen Welt nicht vorstellen konnten, ist eingetreten: Kontaktbeschränkungen, Reiseverbote, die Gewissheit, dass Berührungen, Umarmungen und Nähe tödlich sein können, der Verzicht auf das Treffen mit den Eltern und Großeltern, Familienfeiern in Einsamkeit. Wie in dieser Krisensituation die Lebensfreude nicht verlieren?
„Lasst uns dem Leben trauen…“, so das Jahresmotto der action 365, dem auch das aktuelle Poster gewidmet ist. Abstrakt gehalten, in den leuchtenden Farben Blau und Rot, lässt es Spielraum für viele Assoziationen: aus dem Dunkel kommt Licht, nach der Trauer die Freude, die das Leben trotz aller Widrigkeiten bereithält. Denn bei aller Trauer über die vielen leidenden Kranken und Verstorbenen dürfen auch die positiven Entwicklungen nicht in den Hintergrund geraten: in kürzester Zeit wurde ein Impfstoff gefunden, dem weitere folgen. Die Impfungen werden nach und nach das normale Leben wieder ermöglichen.
Und viele haben in diesen Krisenzeiten auch überraschend positive Erfahrungen gemacht: Hilfsbereitschaft und Fürsorge, Engagement und Zusammenhalt von Menschen, die nicht nur zum näheren Freundes- oder Bekanntenkreis gehören.
„Ich freu mich, dass am Himmel Wolken ziehn, und dass es regnet, hagelt, friert und schneit“, schreibt die Lyrikerin Mascha Kaleko. Die Zeilen des Gedichts, die wegen ihrer scheinbaren Naivität anfangs noch irritierten, ergeben nun einen Sinn. Denn trotz der weltweiten Pandemie mit Hunderttausenden von Verstorbenen tut es gut, sich auf das Wesentliche zu besinnen. „Ich freue mich. Dass ist des Lebens Sinn. Ich freue mich vor allem, dass ich bin.“ Es ist gerade diese Freude im Vertrauen auf die Unzerstörbarkeit der Erde, des Lebens im Jahreskreislauf, die Trost bringt in diesen schweren Zeiten, und die trotz allem die Erinnerung an jene, die diese Welt verlassen mussten, feiert.
„Lebe bewusst, lebe gut, lebe jetzt! Die größte Sünde ist das ungelebte Leben. Und wenn Angst das Leben bestimmt, lebt man nicht mehr.“ Das Zitat von Rainer Maria Schießler, Pfarrer der Kirche St. Maximilian in München, ist eine schöne Variation und Ergänzung des Jahresmottos. „Lasst uns dem Leben trauen“ – Wem, wenn nicht dem Leben?
Text: Ulrike Maria Haak